Kenneth Anders
Kenneth Anders
Sven Wallrath
Sven Wallrath
Gregor Glass
Gregor Glass

Kommentar des Programmbeirats -Dokumentarfilm

Gerechtigkeit ist eine schwere Sache

Ein Kommentar zur Auswahl für den Wettbewerb der langen Dokumentationen 2022

Schaut man den Menschen unserer diesjährigen Filmauswahl zu, so denkt man: Diese Menschen leben alle zusammen auf dieser Welt, und sie tun es nach bestem Vermögen.

In Peru (Vida Férrea) fördern sie das Erz aus dem Berg und schaffen es hinunter in die Städte – eine harte Arbeit, deren Sinn nicht bezweifelt werden kann.

Auf dem Amazonas bringen die Schiffer lebensnotwendige Waren zu jenen, die schon sehnsüchtig am Ufer stehen und auf die Lieferungen warten (Veins of Amazon).

In Vietnam gehen junge Bauern, die ein erfülltes Tagwerk haben, für eine Zeit in die Wildnis (Pa va Héng), um sich und die Natur aus einer anderen Perspektive zu erfahren.

Auf der japanischen Insel Yonagumi ziehen die Menschen ihre Kinder groß – so, wie man es eben macht, mit Liebe und Sorgfalt – und die Kinder werden die Insel wohl verlassen, wenn die Schule zu Ende ist.

Weniger gesichert und geordnet geht es, in der marokkanischen Wüste zu, wo unter großen Mühen und gegen viele Widerstände überhaupt erst eine Schule aufgebaut wird (School of hope). Aber auch hier sind Liebe und Verstand am Werk.

In einem Rückblick auf das Jahr 1989 in Frankfurt (Oder) leisten Jugendliche und Zeitzeugen eine kluge Erinnerungsarbeit (Auf eine Tasse Kaffee mit der Stasi) und erfahren dabei, dass ohne eine kritische Selbstbefragung keine Demokratie möglich ist.

Das Leben in The Great Basin von Nevada ist von täglichen Verrichtungen und einem zähen Bemühen um Selbstbestimmung und Würde geprägt – in einer Welt, die eben das sehr schwer macht.

In der gescheiterten spanischen Retortenstadt Valdeluz ist ein Leben mit Sinn und Verstand schon kaum noch durchzusetzen (Baratavia), und dennoch sieht man, wie die die Bewohner versuchen, ihre Sache gut zu machen.

Die Bedingungen unseres Lebens, ob in Armut oder Reichtum, in Würde oder in Unfreiheit, werden in allen Filmen sichtbar. Kritisch reflektiert werden sie vor allem in der argentinischen Produktion La conquasta de la ruinas.

Folgt man den Menschen in ihren Geschichten, lässt sich durchaus so etwas wie Hoffnung schöpfen. Denn diese Menschen sind alle bei der Sache. Wenn etwas schlimm ist an der Situation dieser Welt, die wir immer bewusster miteinander teilen, dann das: Unsere legitimen Ansprüche an Gesellschaft und Natur auf der einen und unser Beitrag zum gemeinsamen Leben auf der anderen Seite stehen in keinem guten Verhältnis. Lasten sind nicht gut verteilt, für Liebe ist nicht überall Platz, Rücksicht ist oft unerwünscht.

Das sind Fragen der Gerechtigkeit, gestellt nicht als Fragen einer finanziellen Versorgung, sondern als Fragen des menschlichen Zusammenlebens. Spielen diese Fragen in unseren großen Diskursen, die von der Krise und der Rettung der Welt handeln, noch eine Rolle?

Dokumentarfilm Programm Beirat
Kenneth Anders, Sven Wallrath, Gregor Glass

Julia Hebestreit
Julia Hebestreit
Sven Alhelm
Sven Ahlhelm
Thomas Winkelkotte
Thomas Winkelkotte

Kommentar des Programmbeirates – Kurzdokumentarfilm

Bei den Einreichungen der kurzen Dokumentarfilme für die diesjährige Provinziale sind uns hauptsächlich zwei Themen aufgefallen: Familie und Arbeit. Sie sind quer über die ganze Woche der Provinziale gestreut.

Zunächst jedoch eröffnen wir mit Ann’s Pub, denn hier kommen beide Aspekte zusammen. Die Barbesitzerin schafft mit ihrer Arbeit die große Familie der Gäste. Am Mittwochabend sind die Filmemacher im Festivalschuppen zu Gast.

Drei Filme widmen sich dem Thema Familie mit höchst unterschiedlichen Vorgehensweisen und Perspektiven. Da ist The Traditional Brazilian Family Katu, bei dem Familie die Gemeinschaft eines indigenen Volkes im Nordosten von Brasilien umfasst. Fati´s choice nimmt die Perspektive einer fünffachen Mutter in Ghana ein. Als Rückkehrerin aus Europa mit überraschenden Urteilen ihrer Mitmenschen konfrontiert, versucht sie ihre fünf Kinder wieder zu einer Familie zusammenzuführen. In My Neighbor, Death wird eine Familie im Iran porträtiert, die neben einem Friedhof wohnt und deren Vater dort als Totengräber arbeitet.

Zu dem Schlagwort Arbeit finden sich fünf Filme: Martin Trautmann, Symphony of The Knots, 1Kilo – 3 Euro, You Can’t Automate Me, Black wagon.
Herstellungsprozesse, Dienstleistungen, Sicherheitsaspekte und hoher körperlicher Einsatz, wie sie auf der ganzen Welt zu finden sind, sind hier auf beeindruckende Art und Weise dargestellt.

Zwei weitere Filme sind im diesjährigen Kurzdokumentarfilm-Programm zu finden. Mit Murmur gelingt ein Experiment über unsere alltägliche Wahrnehmung. The Mountains Sing bringt uns nach China und gibt Einblick in eine ungewohnte Kommunikationsform.

Alle Beiträge sind für den begehrten Publikumspreis nominiert. Wir stehen zu Gesprächen zu unserer Auswahl bereit, die Entscheidung, wer den Preis bekommt, wird von Ihnen getroffen.

 

Kurzer Dokumentarfilm Programm Beirat
Thomas Winkelkotte, Sven Ahlhelm, Julia Hebestreit

Sascha Leeske
Sascha Leeske
Katja Ziebarth
Katja Ziebarth
Lars Fischer
Lars Fischer

Kommentar des Programmbeirates – Kurzspielfilm

Arbeit oder Leben?

Arbeit steht im Mittelpunkt unserer diesjährigen Programmauswahl. Sie spielte immer schon eine wichtige Rolle in den kurzen Spielfilmen, die wir in den letzten Jahren in die Wettbewerbe schickten, aber dieses Jahr erscheint sie präsenter.

Arbeit – ob als Lohnarbeit oder in unternehmerischer Eigenverantwortung, ob körperliche oder geistige, auf dem Acker, im Wald, am Meer, in der Fabrik, im Büro oder eigenem Geschäft, ob nur anderswo zu finden oder in ihrer handwerklichen Tradition bedroht, wie dem auch sei – Arbeit stiftet unsere Bindungen an und in die Welt und die Räume, in denen wir leben oder leben möchten. Das trifft für uns persönlich wie gesellschaftlich zu, produktiv wie destruktiv.

Jeder ist seines Glückes Schmied; dass diese Binsenweisheit nicht stimmt, weil wir für ein erfülltes Leben zwar arbeiten müssen, aber Glück eben durch einen Menschen allein nicht zu erfahren ist, sondern nur in Gemeinschaft mit anderen, davon erzählen auch die Filme, die auf der Provinzale zu sehen sind.

Was machen Fleischer in einer veganen Welt, was Autoschlosser in der nahen Zukunft? Kann ich als junge Bäckerin in der Großstadt von meinem Verdienst ein Leben unter denen, für die ich backe, überhaupt bezahlen? Sind Ferien auf dem Bauernhof die letzte Rettung für Kleinbauern? Liegt die Zukunft wirklich in der Arbeit verheißenden Stadt, wenn das bisherige Leben im Boden auf dem Land wurzelt? Kann ich meine Familie glücklich machen, wenn Lohnarbeit rar und selbst die Muscheln im Meer Privateigentum sind? Was ist wichtiger, Konkurrenz oder Solidarität?

Ob wir angesichts der derzeitigen Krisen und gesellschaftlichen Verwerfungen, weltweit wie national oder regional, noch die Zeit finden, über das utopische Potenzial von Arbeit als nicht entfremdende, uns als ganze Menschen gleichsam herausfordernde wie fördernde Tätigkeit nachzudenken? Es scheint nicht so und doch wäre es bitter nötig. Denn es ist gesellschaftliche Arbeit, die uns prägt und unsere Welt im Großen wie im Kleinen gestaltet – ob auf einem spanischen Bauernhof, an der italienischen Küste, in Kambodscha oder Kasachstan, auf einer Landstraße in Frankreich.

Wie gehen Arbeit und Leben zusammen? Eine Antwort geben die dreizehn Filme, die Katja Ziebarth, Sascha Leeske und ich für die 19. Provinziale aus den 467 Einsendungen ausgewählt haben, nicht, aber sie fragen danach, und das ist uns wichtig.

Lars Fischer für den Programmbeirat Kurzspielfilm

Programmbeirat Kurzspielfilm
Sascha Leeske, Katja Ziebarth, Lars Fischer

Florian Wolf
Florian Wolf
Kathrin Welke
Kathrin Welke
Almut Undisz
Almut Undisz
Dominik Zwicky
Dominik Zwicky

Kommentar des Programmbeirates - Animationsfilm

In der Kategorie „Animation“ erreichten uns in diesem Jahr beinahe hundert Einsendungen aus aller Welt. Ganz offensichtlich haben die Künstler*innen die Zeit des Lockdowns produktiv genutzt, um ihre Ideen und Geschichten in Zeichnungen, Knete, Collagen und Computerpixel zu bannen. Und wir versprechen nicht zu viel, wenn wir sagen: „Es ist ein guter Jahrgang“. Was uns überrascht hat: Keine einzige Produktion befasst sich mit der Pandemie, dem Überthema der vergangenen zwei Jahre. Stattdessen spiegelt sich in den Arbeiten die ganze Bandbreite des menschlichen Daseins in den inneren oder äußeren Räumen der Provinz. Traditionell haben wir diesen Begriff weit gefasst, genau wie auch die Kategorie Animation besonders großen kreativen Spielraum bietet.

Beispielhaft steht dafür der estnische Beitrag „Taaskohtumine“, welcher durch animierte Naturmaterialien und Strandfunde die Geschichte der Insel Ruhnu und seiner Bewohner dokumentiert. Auch der mit Metallwesen belebte Film „Confusion Will Be My Epithaph“ wählt eine unkonventionelle Bildsprache. Genauso beeindruckend, wenn auch mit anderen Stilmitteln arbeitend, finden die Beiträge „The Better Angels“ (Australien) und „Les larmes de la Seine“ (Frankreich) poetische und magische Momente auch in Zeiten größter Verzweiflung. Ohnehin ist der französische Film in diesem Jahr prominent in der Kategorie Animation vertreten: Mit „Metallo“, der inneren Reise eines Bergmanns, und dem wunderschön animierten Integrationsdrama „Un caillou dans la chaussure“ sind weitere Beiträge aus diesem Land im Wettbewerb. Aus Russland haben wir zwei Filme im Programm: „Fishwoman“ und „Oh, Whose Is The Rye“ zeigen beide, wie alte, folkloristische Geschichten neu gedacht werden können – und damit auch heute von hoher Aktualität sind. In „Loop“ und „Emmen am See“ befassen sich Filmschaffende aus Spanien und der Schweiz augenzwinkernd mit den Absurditäten unserer normierten Welt und zeigen unkonventionelle Wege, dieser zu entfliehen.

Gedankenanstöße zum tieferen Verstehen, Inspiration für Neues und natürlich einen kleinen Ausbruch aus dem Alltag – all dies hoffen wir euch mit unserem diesjährigen Animationsfilmprogramm zu liefern und wünschen gute Unterhaltung.

Programmbeirat Animationsfilm
Florian Wolf, Kathrin Welke, Almut Undisz, Dominik Zwicky