Gerechtigkeit ist eine schwere Sache
Ein Kommentar zur Auswahl für den Wettbewerb der langen Dokumentationen 2022
Schaut man den Menschen unserer diesjährigen Filmauswahl zu, so denkt man: Diese Menschen leben alle zusammen auf dieser Welt, und sie tun es nach bestem Vermögen.
In Peru (Vida Férrea) fördern sie das Erz aus dem Berg und schaffen es hinunter in die Städte – eine harte Arbeit, deren Sinn nicht bezweifelt werden kann.
Auf dem Amazonas bringen die Schiffer lebensnotwendige Waren zu jenen, die schon sehnsüchtig am Ufer stehen und auf die Lieferungen warten (Veins of Amazon).
In Vietnam gehen junge Bauern, die ein erfülltes Tagwerk haben, für eine Zeit in die Wildnis (Pa va Héng), um sich und die Natur aus einer anderen Perspektive zu erfahren.
Auf der japanischen Insel Yonagumi ziehen die Menschen ihre Kinder groß – so, wie man es eben macht, mit Liebe und Sorgfalt – und die Kinder werden die Insel wohl verlassen, wenn die Schule zu Ende ist.
Weniger gesichert und geordnet geht es, in der marokkanischen Wüste zu, wo unter großen Mühen und gegen viele Widerstände überhaupt erst eine Schule aufgebaut wird (School of hope). Aber auch hier sind Liebe und Verstand am Werk.
In einem Rückblick auf das Jahr 1989 in Frankfurt (Oder) leisten Jugendliche und Zeitzeugen eine kluge Erinnerungsarbeit (Auf eine Tasse Kaffee mit der Stasi) und erfahren dabei, dass ohne eine kritische Selbstbefragung keine Demokratie möglich ist.
Das Leben in The Great Basin von Nevada ist von täglichen Verrichtungen und einem zähen Bemühen um Selbstbestimmung und Würde geprägt – in einer Welt, die eben das sehr schwer macht.
In der gescheiterten spanischen Retortenstadt Valdeluz ist ein Leben mit Sinn und Verstand schon kaum noch durchzusetzen (Baratavia), und dennoch sieht man, wie die die Bewohner versuchen, ihre Sache gut zu machen.
Die Bedingungen unseres Lebens, ob in Armut oder Reichtum, in Würde oder in Unfreiheit, werden in allen Filmen sichtbar. Kritisch reflektiert werden sie vor allem in der argentinischen Produktion La conquasta de la ruinas.
Folgt man den Menschen in ihren Geschichten, lässt sich durchaus so etwas wie Hoffnung schöpfen. Denn diese Menschen sind alle bei der Sache. Wenn etwas schlimm ist an der Situation dieser Welt, die wir immer bewusster miteinander teilen, dann das: Unsere legitimen Ansprüche an Gesellschaft und Natur auf der einen und unser Beitrag zum gemeinsamen Leben auf der anderen Seite stehen in keinem guten Verhältnis. Lasten sind nicht gut verteilt, für Liebe ist nicht überall Platz, Rücksicht ist oft unerwünscht.
Das sind Fragen der Gerechtigkeit, gestellt nicht als Fragen einer finanziellen Versorgung, sondern als Fragen des menschlichen Zusammenlebens. Spielen diese Fragen in unseren großen Diskursen, die von der Krise und der Rettung der Welt handeln, noch eine Rolle?