Filme teilen Erfahrung

Bald gehen wir in das dritte Jahr des Ausnahmezustands. Für ein Filmfest sind das keine guten Umstände. Die Rahmenbedingungen sind unsicher, das freie Spiel von Begegnung und Kommunikation ist eingeschränkt. Beinahe noch gravierender ist die wachsende Defokussierung von den Themen der Kultur: Man redet immer mehr über Zugangsvoraussetzungen, Abstandregeln und Soforthilfen und immer weniger über die Filme und über die Schicksale der Menschen, von denen diese Filme handeln. Wer meint, das sei doch bald vorbei, übersieht die strukturellen Veränderungen in unseren Diskursen: Großthemen mit einfachen Alternativen haben Konjunktur. Das genaue Hinsehen, das unvoreingenommene Zuhören, die Lust am Widerspruch und am aufschlussreichen Detail, das Ausprobieren anderer Denkmöglichkeiten, all das prallt an diesen Großthemen ab. Aus dem Ausnahmezustand wird ein Ausnahmeprozess.

Wir sind dennoch mit Freude und einigen neuen Ideen an die Vorbereitung der 18. Provinziale gegangen. Die inzwischen ständig benötigte Flexibilität schafft auch Spielräume für spontane Wendungen und Entscheidungen. Vor allem haben wir mit Gewinn die neuen Filme gesichtet und ausgewählt. Die haben uns wieder einmal gezeigt, wie lohnend eine Beschäftigung mit der Aneignung des Raumes durch den Menschen ist. Da gibt es so viel in Erfahrung zu bringen! Wir sehen die weltweiten Auswirkungen der Suburbanisierung des ländlichen Raums, begleiten Menschen, die Land und Wasser bewirtschaften und erleben Geschichten von Flucht, Vertreibung und vom Bemühen um neue Sesshaftwerdung. Und es zeigt sich: Wer sich auf die einzelnen Geschichten einlässt, kann durch den Reichtum der geteilten Erfahrung in den großen Diskursen souveräner bestehen.

Im Interesse dieser Souveränität wünschen wir Ihnen und uns eine lebendige gemeinsame Filmfest-Woche!

Dr Kenneth Anders

Festival Director