Filme schaffen Wirklichkeit

Wenn man von Dokumentarfilmen spricht, denkt man landläufig an Filme, die das Leben zeigen sollen, wie es ist. Dass ein Dokfilm eine Interpretation ist, muss man sich selbst immer wieder in Erinnerung rufen. Auch die Beziehungsarbeit mit den Protagonisten, die es oftmals nahelegt, von einem gemeinsamen Produkt zu sprechen, wird nur selten sichtbar. Und nicht zuletzt das, was die Filme mit uns machen, wird nicht mit dem Wort „Dokumentation“ ausgedrückt. Denn tatsächlich schickt uns ein guter Film anders ins Leben zurück, als wir in ihn hineingegangen sind. Er enthält Empathie, Mut, Offenheit, Klarheit, Erkenntnis und Poesie – von diesen Dingen nehmen wir als Zuschauer etwas mit.

Die Filme, die wir zeigen wollen, haben das Potenzial, sehr verschiedene Geschichten und Erfahrungen in den ländlichen oder provinziellen Regionen der ganzen Welt miteinander gedanklich zu verknüpfen. Sie fördern das Gespräch: mit den Filmemachern, dem Publikum, vielleicht sogar mit den Protagonisten. Sie fördern die Bereitschaft, sich der Welt auszusetzen. Sie agitieren nicht, sondern sie steigern durch ihre Beschreibungen unsere Bereitschaft, eigene Positionen zu verändern.

Das ästhetische Programm der langen Dokumentarfilme kann also weder auf reines Wohlbehagen noch auf krasse Abwehr ausgerichtet sein. Es ist gut, wenn man an den Filmen Genuss finden kann, manchmal ist das aber nicht möglich. Es kann sein, dass es nur Furchtbares über eine Sache zu erzählen gibt, aber das Vertrauen, dass es überhaupt wert ist, diese Dinge zu erzählen, muss in dem Film zum Ausdruck kommen. Hier suchen wir die Kraft guter Dokumentarfilme.

Kenneth Anders, Udo Muszynski, Sven Wallrath

Programmbeirat Dokumentarfilm lang 2015

Kenneth Anders
Udo Muszynski
Sven Wallrath

Mehr als eine Fingerübung

Das Filmfest Eberswalde erweiterte den Wettbewerb im Jahr 2013 um die Kategorie Kurzdokumentarfilm. Unter dem Leitthema Provinz werden Filme unter 45 Minuten ausgewählt und dem Publikum in einem eigenständigen Wettbewerb präsentiert.

Es sind Dokumentarfilme, die vielfältige Perspektiven auf Lebensräume werfen und aktuelle Landschaftsfragen kritisch behandeln. Der Beirat für Kurzdokumentarfilme möchte in den kommenden Jahren den Charakter und die Eigenart der Kategorie weiter festigen und stärken. Das Thema Provinz wird weit gefasst, aber soll dennoch in der Gesamtauswahl deutlich erkennbar sein.

Warum treten die Dokumentarfilme bei unserem Festival in zwei Zeitkategorien an?

Letztlich fiel es den Programmmachern immer schwerer, kurze und lange Dokumentarfilme plausibel in einem Wettbewerb miteinander konkurrieren zu lassen.

Ähnlich wie im Spielfilmbereich fristet die Kurzdokumentation gewissermaßen ein Schattendasein neben ihrer „großen“ Schwester. Häufig werden kurze Filme entweder als Fernsehformat oder als Fingerübung abgetan, gelten manchem Betrachter darum wenig.

Wir konnten bereits in den ersten beiden Wettbewerbsjahren feststellen, dass es mehr als nur einen interessanten Stoff oder herausragende Protagonisten braucht, um eine sehenswerte Kurzdokumentation zu schaffen. Der Filmemacher/die Filmemacherin braucht Mut zur Reduktion und Geschick für eine kompakte Darstellung; er/sie muss in der Lage sein, schnell auf den Kern seines Themas zu kommen. Und doch soll der Film auch unterhalten. Keine leichte Aufgabe!

Also schauen wir bei der Auswahl auch mit besonderer Aufmerksamkeit auf die filmische Erzählform: Manch einer zeigt die Thematik aus der Sicht eines Protagonisten, dem er Raum zur Darstellung gibt. Ein anderer beschränkt sich lediglich auf einen kleinen Ausschnitt einer größeren Geschichte. Wieder andere schaffen aus Bildern, O-Tönen und Texten eigenständige, nicht selten künstlerische Essays.

Idealerweise gelingt uns vielleicht jährlich neu eine kleine kurzdokumentarische Film-Anthologie zum Verhältnis Mensch-Lebensraum. Kurze Geschichten, die in der gemeinsamen Darstellung ein größeres Ganzes ergeben können, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren.

Tobias Hartmann, Andreas Gläßer, Thomas Winkelkotte

Programmbeirat Kurzdokumentarfilm 2015

Tobias Hartmann
Andreas Gläßer
Thomas Winkelkotte

MenschensLebensRäume – erzählt in 30 Minuten

Über Kurzspielfilme, die wir am liebsten auf der Provinziale zeigen würden – aber noch zu selten finden.

Die maximal 30 Minuten langen Filme, die wir jedes Jahr zu Hunderten eingesandt bekommen und für den Wettbewerb der Provinziale sichten, beleuchten fast alle denkbaren Dimensionen menschlichen Lebens und Zusammenlebens. In diesem Universum frei erfundener Kommentare zum Hier und Jetzt unserer Gesellschaft gehen wir auf die Suche nach Filmen, deren ästhetische Erfahrung uns so herausfordert, dass wir andere an diesen Filmerlebnissen teilhaben lassen wollen.

Natürlich spielt die filmische Qualität eine wichtige Rolle – ein schlecht gemachter Film kann keine gute Geschichte erzählen – aber für unsere Auswahl ist sie nicht allein ausschlaggebend. Die künstlerische Kraft der Filme hängt auch davon ab, ob es ihnen gelingt, uns in ein Verhältnis zur Welt zu setzen – uns zu bewegen, uns eine Stellungsname abzuverlangen.

Jedes Jahr finden wir Filme, die vor diesen Ansprüchen bestehen. Darunter sind Streifen, die uns tief in die Seele und Verstrickungen einzelner Charaktere blicken lassen, menschliche Abgründe aufreißen, Glücksvorstellungen nachspüren und den Fährnissen des alltäglichen Lebens folgen. Einige Regisseure legen ihre kurze Filmgeschichte bewusst als einen Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse an, skizzieren die handelnden Charaktere als Resonanzkörper, in denen nachklingt, wie die Gesellschaft ihre Menschen formt, zurichtet und beflügelt, aber auch, wie die Menschen wiederum Spuren in der Gesellschaft hinterlassen.

Was wir jedoch noch viel zu selten finden, sind Kurzspielfilme, in denen dem Raum eine wichtige Bedeutung für die Charaktere beigemessen wird. Menschen sind räumliche Wesen, unser Leben ist an die praktische Aneignung von Räumen und Landschaften gebunden. Der uns umgebende Raum ist Produkt und Ausdruck unseres gesellschaftlichen Lebens. Er schreibt sich ein in die Menschen, in ihre sinnlichen Vermögen. Es macht einen Unterschied, wo jemand aufwuchs. Ob Kleinstadt, Dorf, Einsiedelei, metropolitaner Schmelztiegel, Heimat oder Fremde, mit oder ohne Wohnung: Die räumliche Bedingtheit des Lebens kommt viel zu selten ins Spiel und zu ihrem Recht. Der Lebensraum der Menschen ist mehr als nur eine mehr oder weniger sorgfältig gewählte Kulisse, er ist das, worin individuelles wie gesellschaftlichen Leben Gestalt gewinnt, egal ob der einzelne dabei scheitert oder gewinnt.

Kurze Spielfilme zu suchen und zu zeigen, die davon erzählen, dass unsere Lebensräume unser individuelles wie gesellschaftliches Leben beeinflussen, ist eine Aufgabe für die nächsten Jahre der Provinziale.

Katja Ziebarth, Sascha Leeske und Lars Fischer

Programmbeirat Kurzspielfilm 2015

Sascha Leeske
Katja Ziebarth
Lars Fischer

Fruchtbare Animationsfilme: Weiche Schale, harter Kern

Der Animationsfilm zeichnet sich durch eine Vielzahl von Macharten aus. Wir wollen ihn darin nicht beschränken, denn diese Diversität bringt Farbe. Und dennoch darf die Machart nicht beliebig sein. Sie muss sich begründen. Sie soll Inhalte tragen und stützen – eine Schale, die die Frucht hält. Und diese Schale soll weich sein. Uns ist eine individuelle, kreative und liebevolle Optik mit charakteristischer Wirkung wichtig. Das Fruchtfleisch ist die Struktur. Die Geschichte. Mal süß, mal bitter, scharf oder
saftig bettet sie den Kern.

Der Animationsfilm hat viele Möglichkeiten seine Geschichte zu erzählen. Wir suchen Filme, die die Spannung zwischen Schale und Kern tragen können, die ihre spezifischen Gestaltungsmittel nutzen, um packend, überraschend und konsequent zu erzählen. Der Kern selbst, der Inhalt, ist uns das Wichtigste bei den Filmen.

Und wir suchen einen harten Kern: Themen, die zum Nachdenken anregen, die aufrütteln und die
Kommunikation loslösen. Ein Kern, der den Film nicht aufhören lässt, wenn er zu ende ist, der dem Film Tiefgang verleiht. Wir suchen individuelle, kleine Geschichten, die für das Große stehen.

Am Ende müssen alle drei – Schale, Fruchtfleisch und Kern – zusammen eine Frucht
ergeben.

Nele Fischer
Steffen Neumann