Wenn man von Dokumentarfilmen spricht, denkt man landläufig an Filme, die das Leben zeigen sollen, wie es ist. Dass ein Dokfilm eine Interpretation ist, muss man sich selbst immer wieder in Erinnerung rufen. Auch die Beziehungsarbeit mit den Protagonisten, die es oftmals nahelegt, von einem gemeinsamen Produkt zu sprechen, wird nur selten sichtbar. Und nicht zuletzt das, was die Filme mit uns machen, wird nicht mit dem Wort „Dokumentation“ ausgedrückt. Denn tatsächlich schickt uns ein guter Film anders ins Leben zurück, als wir in ihn hineingegangen sind. Er enthält Empathie, Mut, Offenheit, Klarheit, Erkenntnis und Poesie – von diesen Dingen nehmen wir als Zuschauer etwas mit.
Die Filme, die wir zeigen wollen, haben das Potenzial, sehr verschiedene Geschichten und Erfahrungen in den ländlichen oder provinziellen Regionen der ganzen Welt miteinander gedanklich zu verknüpfen. Sie fördern das Gespräch: mit den Filmemachern, dem Publikum, vielleicht sogar mit den Protagonisten. Sie fördern die Bereitschaft, sich der Welt auszusetzen. Sie agitieren nicht, sondern sie steigern durch ihre Beschreibungen unsere Bereitschaft, eigene Positionen zu verändern.
Das ästhetische Programm der langen Dokumentarfilme kann also weder auf reines Wohlbehagen noch auf krasse Abwehr ausgerichtet sein. Es ist gut, wenn man an den Filmen Genuss finden kann, manchmal ist das aber nicht möglich. Es kann sein, dass es nur Furchtbares über eine Sache zu erzählen gibt, aber das Vertrauen, dass es überhaupt wert ist, diese Dinge zu erzählen, muss in dem Film zum Ausdruck kommen. Hier suchen wir die Kraft guter Dokumentarfilme.
Kenneth Anders, Udo Muszynski, Sven Wallrath
Programmbeirat Dokumentarfilm lang 2015