Kenneth Anders
Kenneth Anders
Udo Muszynski
Udo Muszynski
Sven Wallrath
Sven Wallrath

Kommentar des Programmbeirats -Dokumentarfilm

Überleben an Ort und Stelle

Über unsere diesjährige Filmauswahl im Wettbewerb der langen Dokumentarfilme

Viele Anstrengungen des Menschen sind auf das Überleben gerichtet: das Heizen und das Kochen, die Erwerbsarbeit oder die Selbstversorgung. Aber was gehört, neben den ersten körperlichen Bedürfnissen, alles noch dazu? Freiheit, Glück, Selbstbestimmung –sind diese Dinge nur ein Bonus, der –vielleicht–jenen gewährt wird, die satt sind und ein Obdach haben? Oder sind sie von Anfang an Teil des menschlichen Überlebensprogramms?

Die Filme unseres diesjährigen Wettbewerbs zeigen, dass Essen und Würde, Wärme und Hoffnung, Geborgenheit und die Chance, sich selbst und seine Bedürfnisse auszudrücken, meist sehr eng miteinander verwoben sind. Da müssen Menschen ihre eigene Vergangenheit noch einmal aufsuchen, sie mit anderen durchsprechen oder zusammen nachspielen, um in der Gegenwart ihren Platz zu finden, während andere ihre Gefühle und Erwartungen an die Zukunft richten oder in der Gegenwart ausfechten.

Ein junger Mann fährt in sein bosnisches Herkunftsland, um verborgene Schichten seines eigenen Lebens freizulegen. Die Mitarbeiter einer polnischen Traktorenfabrik finden ganz verschiedene Wege, sich ihres früheren Lebens zu vergewissern. Junge marokkanische Nomaden sehnen sich in städtische Erwerbsverhältnisse und verbinden damit Vorstellungen einer neuen Freiheit. Sibirische Frauen dagegen eignen sich mit dem Kehlkopfgesang eine traditionelle Männerdomäne an und riskieren für diese Ausdrucksmöglichkeit ihre soziale Anerkennung. Eine Gruppe griechischer Aktivisten wiederum baut eine bäuerliche Direktvermarktung auf und man ist keine Minute darüber im Zweifel, dass es ihnen nicht nur um Einkommen,sondern auch um eine Möglichkeit des solidarischen Lebens geht. Die letzten Bewohner der belgischen Geisterstadt wollen lieber die ersten Bewohner einer neuen Heimat sein. Existenziell sind zweifellos der Kampf des irischen Bauern gegen die staatliche Akquise seines Landes und das verzweifelte Ringen der niederländischen Schäferfamilie um ihre Erwerbsgrundlagen in einer Gesellschaft, in der Natur und Freiheit mit Geld verrechnet werden. Auch diese Protagonisten engagieren sich nicht nur für eine private Nische, sie kämpfen um ein Recht, das in ihren Vorstellungen vom Leben wurzelt, wie es gelebt werden soll.

So unterschiedlich die Geschichten auch sind, diese Auseinandersetzungen finden immer an Ort und Stelle statt. Man muss irgendwo hingehen, um etwas klären zu können oder man muss an einem bestimmten Punkt bleiben, ausharren und sich dort auseinandersetzen, wenn man das Leben in diesem Sinne gestalten will. Zwischen den Filmemachern und den Protagonisten in unseren Wettbewerbsfilmen zeigt sich immer wieder ein solidarisches Verhältnis, in dem sie gemeinsam einem reichen Verständnis vom Überleben nachgehen. Nach eben dieser Gemeinsamkeit haben wir gesucht –und wir schulen daran unsere Vorstellungen von dem, was für uns gute Dokumentarfilme sind. Wir möchten unseren Wettbewerb nutzen, um in das Engagement, in die Empathie und in die Liebe zum Leben an Ort und Stelle zu investieren und laden unser Publikum und die Juroren dazu ein, diesem Pfad zu folgen.

Programmbeirat für den langen Dokumentarfilm
Kenneth Anders / Udo Muszynski / Sven Wallrath

Tim Altrichter
Tim Altrichter
Tobias Hartmann
Tobias Hartmann
Thomas Winkelkotte
Thomas Winkelkotte

Kommentar des Programmbeirates –Kurzdokumentarfilm

Industrieanlagen und Landwirtschaft, Schifffahrt und Militäranlagen, Arbeit und Freizeit. Ein Lehrer in der Dorfschule von Kirgisien. Die Jugend verlässt ein Dorf in Indien. Ein Kunstprojekt über die Bedeutung von Nationen. Ein Bauer aus Ruanda lebt in Russland. Über das nomadischen Leben einer Zirkusfamilie. Ein kurdischer Tanzmeister erinnert an einen alten kurdischen Trauertanz.

Das Leben auf dem Land es ist weder gradlinig, noch einfach oder eindeutig. Jeder der in diesem Jahr ausgewählten Kurzdokumentarfilme gibt gar kompromisslos ein Schlaglicht in die Provinzen der Welt, fernab der großen Metropolen. In der Uneindeutigkeit kann dabei das Provinzielle uns fragend, uns eventuell gar zweifelnd zurück lassen.

In diesem Jahr haben uns von den über hundert eingereichten Filmen viele erreicht, denen dagegen die Auseinandersetzung und der Dialog zwischen den verschiedenen Perspektiven fehlten. Filme die keine Fragen stellen, sondern ganz bestimmte Antwort dokumentarisch inszenieren, sind in diesem Wettbewerb nicht zu sehen. Wir konzentrieren uns auf Filme, die unsere eigene Gewissheit auch in Frage stellen können.

15 Jahre Provinziale zeigen –das Eberswalder Publikum ist anspruchsvoll. Es schaut genau hin, um selbst etwas für sich eigenes und interessantes zu entdecken. Im Wettbewerb der Kurzdokumentarfilme ist es eben auch das Publikum, welches allein über den besten Kurzdokumentarfilm auf der Provinziale 2019 entscheidet. Wir freuen uns daher in besondere Weise auf anregende Filmgespräche.Für den Stachel nominieren wir in diesem Jahr zwei Filme Agaswadi (Village in the sky) und Russian dreamer

Programmbeirat Kurzdokumentarfilm
Tim Altrichter / Tobias Hartmann / Thomas Winkelkotte

Sascha Leeske
Sascha Leeske
Katja Ziebarth
Katja Ziebarth
Lars Fischer
Lars Fischer

Kommentar des Programmbeirates – Kurzspielfilm

Menschen in Räumen –eine Herausforderung

Der Kurzspielfilm auf der PROVINZIALE

Rund 500 kurze Spielfilme haben wir für den diesjährigen Wettbewerb gesichtet. Wir haben Geschichten aus fast allen Kontinenten dieser Welt sehen dürfen –manche auch sehen müssen, auch das gehört dazu. In diesem Gang um die Welt spiegelten sich nicht nur fast alle filmischen Genres, vom blutrünstigen Horrorfilm über Dramen bis hin zur romantischen Komödie, sondern auch viele soziale, wirtschaftliche, politische -und im besten Falle räumlich verortete -Konflikte, die Menschen auf diesem Planeten bewegen: Kriege, Flucht und Vertreibung, individuelle Ausgrenzungen, Umweltkatastrophen, Identitäts-und Familienkrisen, sterbende Landstriche, Globalisierung…

Jeder dieser Filme wurde in der Absicht gedreht, dass er Zuschauer findet, die Zeit mit ihm verbringen, sich von der Geschichte und den Bildern der Erzählung einfangen lassen, um sich am Ende –idealer Weise im Gespräch mit anderen Zuschauern, es geht natürlich aber auch im Selbstgespräch –über das Gesehene und ästhetisch Erfahrene ein Urteil zu bilden.

Aber nicht jeder dieser Filme wurde zur PROVINZIALE eingereicht, weil die Autoren, Produzenten oder Agenten am Profil unseres Filmfestes, das wir im Aufruf zur Filmeinreichungjedes Jahr auf Neue formulieren, Interesse zeigten: Die Suche nach Filmen, in denen der Raum, oder besser, die Landschaft, in der die Protagonisten –egal welchen Geschlechts und Alters –leben, arbeiten, träumen, hoffen, lieben, sterben, eine wichtige Rolle für die Charaktere und die erzählte Geschichte spielt. Wir haben diesen Anspruch, Landschaft nicht als schöne Kulisse, sondern als wichtige Mitspielerin zu sehen, auch begründet. Und die Leserinnen und Leser der letzten Kataloge zum Filmfest kennen diese Begründung: Wir Menschen sind räumliche Wesen, unser Leben ist an die praktische Aneignung von Räumen und Landschaften gebunden, der uns umgebende Raum ist Produkt und Ausdruck unseres Lebens, er ist unsere Hoffnung, unser Verhängnis, Ausgangspunkt unserer Sehnsüchte und Ängste. Er schreibt sich ein in uns und wir schreiben uns ein in ihn.

Durch unser filmisches Interesse engt sich die Auswahl für das Programm ein, das in der Filmfestwoche zu sehen sein wird. Unser Fokus auf möglichst konkrete räumliche Bindungen der Geschichte lässt einerseits Filme in den Hintergrund treten, die sich vor allem den gegenwärtigen sozialen oder politischen Dimensionen und Herausforderungen unseres gesellschaftlichen Lebens im Spiegel einzelner Schicksale widmen. Andererseits stellt sich jedes Jahr aufs Neue die Frage, ob wir ein starkes Programm hinbekommen.

Programmbeirat Kurzspielfilm
Katja Ziebarth / Sascha Leeske / Lars Fischer

Nele Fischer
Nele Fischer
Almut Undisz
Almut Undisz
Steffen Neumann
Steffen Neumann

Kommentar des Programmbeirats -Animationsfilm

Fruchtbare Animationsfilme: Weiche Schale, harter Kern.

Animationsfilme können ganz eigene Welten erschaffen -ob ihre Bilder durch Computeranimation entstanden sind wie in „Sealand“ oder „The Bolt Connection“, durch Stopmotionwie in „Tod des Filmemachers“ oder auf ganz unterschiedliche Weise gezeichnet wurden wie in „Little Bandits“ oder „Bridge at the Brogs“. Was der Vielfalt an Macharten gemeinsam ist, ist ihre Möglichkeit, uns in Welten zu entführen,die nicht nur Schauplatz einer Geschichte,sondern zentraler Teil von ihr sind. Auch in diesem Jahr haben wir so nach Filmen gesucht, die gerade über diese Möglichkeit, eigene Welten zu entwerfen,ihre Geschichte erzählen. Die wie „Memorable“ eine Bildsprache des Vergessen entwickeln oder wie in „The Fox“ eine Vielzahl an Deutungsmöglichkeiten eröffnen. Es ist diese Ausdrucksebene, die uns am Animationsfilm fasziniert. Die Fähigkeit, Geschichten zeigend zu erzählen und uns damit nicht nur an Orte rund um die Welt zu begleiten, sondern uns auchin die Welten inunsselbstzu entführen. Animationen können den großen und kleinen Themen, Gefühlen oder Fragen, die uns umtreiben,ihren ganz eigenen Raum geben.

Das Animationsfilmprogramm ist auch in diesem Jahr voller Geschichten, die gerade durch ihre Optik eine weiche Schale haben, in denen jedoch ein harter Kern steckt. Filme, die Themen anstiften, Fragen aufwerfen -und deren Geschichten nicht aufhören, wenn der Film endet, sondern ganz im Gegenteil gerade erst den Anfang unserer Diskussionen bilden.

Wie auch schon im letzten Jahr war das Altern bei den diesjährigen Einsendungen ein großes Thema -vom Erwachsen werden („Little Bandits“) und Loslösen aus einererdrückenden mütterlichen Umklammerung („Metamorphosis“), über das Altwerden, das Vergessen („Memorable“) und auch das Sterben.

In diesem Jahr fiel uns bei den Einsendungen die Dichte an Robotern auf. Mit „Avarya“,“The Bolt Connection“ und „The Elephants will be happy“ sind drei davon im Programm zu sehen. Sie alle stellen mit Blick auf postapokalyptische Welten Fragen danach, was es heißt, ein Mensch (gewesen) zu sein. Eine Frage, die „Bridge at the Brogs“ mit Blick auf eine mythische Welt im Fortschritt bewegt. Eine andere Fragerichtung schlagen Filme wie „Tod des Filmemachers“, „The Fox“ oder „Sealand“ ein, die auf ihre Weise erforschen, was das Gute und das Böse ist, wie eng beides beieinander liegen kann -und wie schwer es ist, eine Rolle zu verlassen.

Dass viele Filme sich mit den Fragen und Dingen des Alltags auseinandersetzen, und diese sich in den letzten Jahren natürlich auch immer wieder um den Umgang mit dem Smartphone drehen, ist nachvollziehbar. „Selfies“ hält uns da auf intelligente Art den Spiegel vor. Und auch das Absurde, Skurrile kommt nicht zu kurz, wenn wir uns in „Gerichtszeichner“von einer Verhandlung erzählen lassen.

Verschiedene Fragen, verschiedene Welten – immer jedoch ein Anstoß, gemeinsam weiter zu denken.

Programmbeirat Animationsfilm
Nele Fischer / Almut Undisz / Steffen Neumann